Mit ihrem unverkennbaren Witz und ihrer Weisheit stellte sich Emily Levine (*20.10.1944, +03.02.2019) ihrer ultimativen Herausforderung als Komikerin/Philosophin: Sie machte das Sterben lustig. In einem Vortrag auf TED Talks im Mai 2018 nahm sie ihre Zuhörer mit auf ihre Reise, sich mit der Realität anzufreunden und Frieden mit dem Tod zu schließen. Das Leben ist ein riesiges Geschenk, sagte Levine: „Man bereichert es, so gut man kann, und dann gibt man es zurück.“

Quelle der nachfolgenden Transkription: https://t1p.de/t129o

BEGINN DER TRANSKRIPTION

Zuerst werde ich Ihnen etwas erzählen, das bei meiner Großmutter folgende Reaktion hervorgerufen hätte: „Oi, oi, oi, oi, oi.“ Jetzt kommt’s … seid Ihr bereit? Ok, ich habe Lungenkrebs im 4. Stadium. Ich weiß, „Du Arme“. So empfinde ich es nicht. Mir geht es gut damit. Auch weil ich gewisse Privilegien habe – nicht jeder kann so unbekümmert sein. Ich habe keine kleinen Kinder. Meine Tochter ist erwachsen, brilliant, glücklich und wundervoll. Ich habe keine finanziellen Probleme. Mein Krebs ist nicht sehr aggressiv. Er ist wie die demokratische Regierung: Nicht sicher, ob er gewinnen kann. Er wartet einfach ab, dass die Bank ihm Geld gibt.

Und das Beste von allem: ich habe eine große Leistung vollbracht. Ja. Ich wusste es nicht einmal, bis ich einen Tweet bekam, der besagte: „Sie sind verantwortlich für die Verweichlichung der amerikanischen Männer.“ Ich bin zwar nicht allein dafür verantwortlich, aber …

Was jedoch, wenn man nicht meine Vorteile hat? Der einzige Rat, den ich Ihnen geben kann: Freunden Sie sich mit der Realität an. Meine Beziehung zur Realität hätte nicht schlechter sein können. Von Anfang an, mochte ich die Realtät nicht. Wäre sie auf Tinder, hätte ich links geswipt und es wäre vorbei gewesen.

Die Realität und ich – wir haben nicht die selben Werte, oder die selben Ziele. Ehrlich gesagt, habe ich keine Ziele; ich habe Fantasien. Sie sind wie Ziele, nur ohne den Aufwand. Ich mag harte Arbeit nicht, aber die Realität schon – sie sagt: arbeite, arbeite, arbeite durch ihren Stellvertreter: der exekutiven Hirnfunktion – ein Vorteil des Sterbens: Mein Gehirn kann mich nicht mehr herumschubsen.

Aber etwas ist passiert, dass mir klar machte, dass Realität nicht Realität ist. Was passierte ist, weil ich von der Realität in Ruhe gelassen werden wollte – aber in einem schönen Haus mit Wolf Herd und Sub-Zero Kühlschrank … privaten Yoga Stunden – habe ich einen Vertrag mit Disney abgeschlossen. Eines Tages fand ich mich in meinem neuen Büro auf dem Two Dopey-Drive wieder – worauf ich laut Realität stolz sein sollte.

Ich starre auf das Willkommensgeschenk – nicht die Kristallvase oder den Konzertflügel, den andere vermutlich bekommen hatten, sondern ein ein Meter großes Micky Maus-Stofftier mit einem Katalog, falls ich noch mehr von dem bestellen wollte, das ich nicht schön fand. Als ich im Katalog nachsah wieviel diese ein Meter große Maus kostet, fand ich folgende Beschreibung: „Lebensgroß“. Und da wusste ich, Realität ist nicht gleich Realität. Die Realität ist ein Hochstapler.

Also stürzte ich mich in Quantenphysik und die Chaos-Theorie, um die wahre Realität zu finden. Ich habe gerade einen Film beendet ja, endlich beendet – aber heute will ich nicht über dieses Thema sprechen. Es war nach den Dreharbeiten, als ich mir ein Bein brach und es nicht heilte und ein Jahr später wieder operiert werden musste und ich ein, nein, zwei Jahre im Rollstuhl saß, dass ich mit der wirklichen Realität in Kontakt kam: Einschränkungen.

Die Einschränkungen, die ich immer verleugnet, weggeschoben und ignoriert hatte, waren real und ich musste mit ihnen umgehen. Dafür brauchte ich meine Fantasie, Kreativität und all meine Fähigkeiten. Es stellte sich heraus, dass ich super in wirklicher Realität bin. Ich habe mich nicht nur arrangiert, ich habe mich in sie verliebt. Und ich hätte wissen sollen, aufgund meiner instabilen Beziehung mit dem Zeitgeist … Ich sage es nur, falls jemand an Videokassetten interessiert ist, dass, sobald ich mich in die Realität verliebt hatte, der Rest des Landes in die andere Richtung gehen würde.

Ich werde nicht über Trump, die Alt-Right oder die Klimawandel-Leugner sprechen oder über die Macher dieses Dings, das ich eine Box genannt hätte, doch hier steht: „Das ist keine Box.“ Sie machen mich wahnsinnig.

Das, worüber ich heute sprechen will, ist eine persönliche Herausforderung an die Realität, die ich persönlich nehme. Zu Beginn möchte ich sagen, dass ich Wissenschaft liebe. Ich habe diese eine – ich bin selbst keine Wissenschaftlerin – unglaubliche Fähigkeit, alles über Wissenschaft zu verstehen, außer der eigentlichen Wissenschaft – der Mathematik. Ich verstehe die befremdlichsten Konzepte. Die String-Theorie; die Idee, dass die Realität ausgeht von den Vibrationen dieser kleinen – ich nenne es „Das große Doing“ – der Welle-Teilchen-Dualismus: die Idee, dass etwas sich als zwei Dinge manifestieren kann … wissen Sie? Dass ein Photon sowohl Welle als auch Teilchen sein kann, stimmt mit meiner Intuition überein, dass Menschen gut und böse sind, Ideen richtig und falsch sind. Freud lag richtig beim Penisneid, irrte sich allerdings, wer ihn hat.

Und diese Variation davon, dass Realität wie zwei Dinge aussieht, aber in Wahrheit ist es die Interaktion dieser zwei Dinge, wie Raum – Zeit, Masse – Energie und Leben und Tod. Deshalb verstehe ich nicht – ich verstehe sie einfach nicht, die Geisteshaltung von Menschen, die den Tod „besiegen“ wollen. Wie soll das funktionieren? Wie besiegt man den Tod, ohne das Leben zu zerstören? Das macht für mich keinen Sinn.

Außerdem muss ich sagen, finde ich es unglaublich undankbar. Man bekommt dieses unglaubliche Geschenk, das Leben, aber es ist als hätte man den Nikolaus um einen Rolls-Royce Silver Shadow gebeten und eine Salatschleuder bekommen. Das Problem ist – dass das Leben mit einem Ablaufdatum kommt. Der Tod ist der Deal Breaker. Ich verstehe das nicht. Ich verstehe nicht – für mich ist das respektlos. Es ist respektlos der Natur gegenüber. Die Idee, dass wir die Natur dominieren, die Natur beherrschen, die Natur zu schwach ist, um gegen unseren Intellekt zu bestehen – nein, das finde ich nicht richtig. Wenn man über Quantenphysik gelesen hat, so wie ich – naja, ich habe eine Mail gelesen von jemanden der davon gelesen hat.

Sie müssen verstehen, dass wir nicht mehr in Newtons Uhrwerk-Universum leben. Es ist eher ein Bananenschalen-Universum und wir werden nie alles wissen oder alles kontrollieren oder alles vorhersehen können. Die Natur ist wie ein selbstfahrendes Auto. Wir können nur wie die alte Frau in dem Witz sein – ich weiß nicht, ob Sie ihn kennen. Eine alte Frau fährt mit ihrer erwachsenen Tochter auf dem Beifahrersitz, und die Mutter fährt über eine rote Ampel. Und die Tochter möchte nichts sagen, dass klingen könnte wie: „Du bist zu alt zum Fahren“, also sagte sie nichts. Und dann fährt die Mutter über eine weitere rote Ampel, und die Tochter sagt so taktvoll wie möglich: „Mutter, hast du bemerkt, dass du über zwei rote Ampeln gefahren bist?“ Und die Mutter sagt: „Oh, ich fahre?“

Also … und jetzt machen wir einen Gedankensprung, was leicht für mich ist, weil ich der Evel Knievel der Gedankensprünge bin. Mein Markenzeichen ist: „Cogito, ergo zoom.“ Ich hoffe Sie wollen mir folgen, aber mein wirkliches Problem mit dem Anti-Tod Mindset ist, dass wenn man Anti-Tod ist, was für mich auch Anti-Leben ist, was heißt Anti-Natur, was auch heißt Anti-Frau, weil Frauen schon lange mit der Natur identifiziert wurden. Meine Quelle hierzu ist Hannah Arendt, die deutsche Philosophin die „Vom tätigen Leben“ schrieb. Darin sagt sie, dass traditionell Arbeit mit Männern assoziiert wird. Arbeit ist was aus dem Kopf kommt; was wir erfinden, was wir kreieren, was wir auf dieser Welt hinterlassen. Während man harte Arbeit mit dem Körper verbindet. Es wird verbunden mit den Menschen, die die Arbeit leisten oder Kinder gebären. Für mich, die Einstellung die dies negiert, die negiert, dass wir nach einem Biorhythmus leben, dem zyklischen Rhythmus des Universums, schafft kein angenehmes Umfeld für Frauen oder Menschen, die man mit harter Arbeit verbindet, was bedeutet, Menschen, die wir als Nachfahren von Sklaven sehen. oder Menschen, die physischer Arbeit nachgehen.

So sieht es von meiner Perspektive aus, von meinem Mindset, das ich „Emilys Universum“ nenne. Erstens, ich bin sehr dankbar für das Leben, aber ich will nicht unsterblich sein. Mein Name soll nicht nach mir weiterleben. Ich will nicht, dass er es tut, weil ich festgestellt habe, dass egal wie nett und wie brilliant oder wie talentiert Sie sind, 50 Jahre nachdem Sie tot sind, wenden sie sich gegen Sie. Und ich habe Beweise dafür. Eine Schlagzeile der Los Angeles Times: „Anne Frank: doch nicht so nett.“

Außerdem liebe ich es, im Einklang zu sein, mit dem zyklischen Rhythmus des Universums. Das ist das Außergewöhnliche am Leben: es ist ein Zyklus von Erzeugung, Degeneration, Regeneration. „Ich“ bin nur eine Sammlung von Elementarteilchen, die in diesem Muster arrangiert sind, dann verrotten und wieder verfügbar sein werden, in allen seinen Teilen, für die Natur, um ein anderes Muster zu formen. Ich finde das sehr aufregend und es macht mich noch dankbarer, ein Teil dieses Prozesses zu sein.

Wissen Sie, ich betrachte den Tod aus der Sicht eines deutschen Biologen, Andreas Weber, als Teil der „Ökonomie des Schenkens“. Sie erhalten dieses große Geschenk: Leben, bereichern es so gut Sie können und geben es dann zurück. Und Tante Mame sagte: „Das Leben ist ein Bankett“ – naja, ich habe mich satt gegessen. Ich hatte riesigen Appetit auf das Leben, ich habe das Leben konsumiert, aber im Tod werde ich konsumiert. Ich gehe unter die Erde so wie ich bin, und ich lade jede Mikrobe, alle Zerfaller und Zersetzer ein, sich satt zu essen – ich glaube sie werden mich köstlich finden.

Das Beste an meiner Einstellung ist, glaube ich, dass sie echt ist. Man kann sie sehen. Man kann sie beobachten. Es passiert wirklich. Naja, vielleicht nicht das Bereichern, da bin ich mir nicht so sicher – aber mein Leben wurde auf jeden Fall von anderen bereichert. Von TED, das mir ein Netzwerk von Menschen gezeigt hat, die mein Leben bereichert haben, einschließlich Tricia McGillis, meiner Webseiten-Designerin, die mit meiner tollen Tochter arbeitet um meine Website so aufzubereiten, dass ich nur einen Blog schreiben muss. Ich muss meine exekutiven Gehirnfunktion nicht verwenden … Ha, ha, ha, ich gewinne!

Und ich bin Ihnen so dankbar. Ich möchte nicht „das Publikum“ sagen, weil ich uns nicht als getrennt wahrnehme. Ich sehe es auch hier aus der Perspektive der Quantenphysik. Und Quantenphysiker sind nicht sicher, was wirklich passiert, wenn die Welle zum Teilchen wird. Es gibt verschiedene Theorien – der Kollaps der Wellenfunktion, Dekohärenz – aber sie besagen alle: Realität entsteht durch Interaktion. Sie genauso. Und alle meine Publikums, in der Vergangenheit und heute. Danke, dass Sie mein Leben real machen.

Danke.

ENDE DER TRANSKRIPTION

Der Denkanstoß von Emily Levine leitet sich letztlich aus der christlichen Vorstellung ab, dass Gott den ersten Menschen (Adam) aus einem Klumpen Lehm (Erde, Staub) erschaffen hat. Diese Logik spiegelt sich auch in der liturgischen Formel wider, die beim christlichen Begräbnisritus ihre Anwendung findet: „Aus der Erde sind wir genommen, zur Erde sollen wir wieder werden, Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub“. Die liturgische Formel wird bei einer christlichen Beerdigung gespiegelt durch das dreimalige Werfen von Erde in das offene Grab. Traditionell folgt auf Spruch und Erdwurf das „Ruhe in Frieden“.

Ms. Levine ging allerdings noch einen Schritt weiter, indem sie darauf aufmerksam macht, dass das gesamte „Baumaterial“, aus dem unser Organismus besteht, nach unserem Tod wieder für andere Zwecke verfügbar gemacht wird und dazu beiträgt, dass neues Leben entstehen kann. Das ist zweifellos ein tröstlicher Gedanke.

P.S.: Wer sich bereits unmittelbar nach seinem Übergang in die ewigen Jagdgründe nützlich machen möchte, kann auch der folgenden Anregung von Frank Zander aus dem Jahr 1980 folgen und seine Asche in eine Eieruhr einfüllen lassen: https://youtu.be/Qzzey90NHLk.

Ein Kommentar zu „Vom Kommen und Gehen

  1. Zu Ihrem Text muss ich ein Gedicht von Annie Francé Harrar , 1886-1971 , beisteuern, das als Vorwort in dem 1950 erschienen Buch „Die letzte Chance für eine Zukunft ohne Not“ über die Bedeutung von Humus erschienen ist:

                     *** 
    

    Alles, alles sargt die Erde ein

    Und mit ihren nimmermüden Händen

    Nimmt sie Frucht des Baums und Frucht der Lenden,

    Ohne Unterschied begräbt sie Blatt und Stein.

    Nie verändert sich ihr Angesicht.

    Nie erbleichen ihre dunklen Wangen.

    Sie ist ohne Sehnsucht und Verlangen,

    Spricht kein Urteil, achtet kein Gericht.

    Was die Himmel senden, hält sie fest.

    Gutes, Böses legt sie still zur Ruhe,

    Sammelt langsam in der großen Truhe,

    Was da wandert zwischen Ost und West.

    Aber kurz nur ist die finstre Rast

    Derer, die sie bei sich aufgenommen.

    Aus dem unentwegten Gehn und Kommen

    Bleibt nicht einer lang bei ihr zu Gast.

    Alle wechseln Maske nur und Kleid.

    Drosselkehle wandelt sich in Flieder …

    Bunter Tausch der Leben, Tausch der Glieder.

    Erde frägt nicht. Sie entlässt sie wieder

    in das Gaukelspiel der Endlichkeit.

                     *** 
    

    Meine Lieblingszeile ist „Drosselkehle wandelt sich in Flieder“ – und damit ist alles gesagt über den Kreislauf des Werdens und Vergehens.

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