„Macht ist die Fähigkeit, das Verhalten oder den Verlauf von Ereignissen eines anderen Menschen zu lenken oder zu beeinflussen“, habe ich gerade gelesen (Englisch: „Power is the ability to direct or influence the behavior or course of events of another person“). Ich würde diese Definition wie folgt modifizieren: „Macht ist die Fähigkeit, das Denken, Fühlen und Handeln oder den Verlauf des Lebens eines anderen Menschen zu beeinflussen, zu lenken oder sogar zu ändern“.
Bei mächtigen Menschen denken wir häufig zunächst an solche, die aufgrund ihrer gesellschaftlichen Position oder ihres Reichtums politischen, gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Einfluss ausüben können. Macht besitzen auch klassische Medien (Presse, Rundfunk, Fernsehen) und seit ca. 15 Jahren zunehmend auch (a)soziale Medien, deren Kernfunktion es ist, Informationen sichtbar(er) oder unsichtbar(er) zu machen – und zwar im Interesse ihrer eigenen Profite. Die meisten Menschen sind sich dessen nicht bewusst – insbesondere nicht der hinterfotzigen Mittel, mit denen Social Media-Plattformen ihre Nutzer manipulieren, um möglichst viele personenbezogene Verhaltensdaten von ihnen abzugreifen. Abgesehen davon sind Nationen wie die USA, Russland oder China aufgrund ihrer militärischen Stärke in der Lage, Macht über andere Staaten auszuüben.
Macht gibt es aber auch im zwischenmenschlichen Bereich, wo sie unmittelbar(er), persönlich spürbar(er) und deshalb noch schwerer erträglich ist. Denken Sie zum Beispiel an Schulhofschläger, die aufgrund ihrer körperlichen Überlegenheit ihren Mitschülern das Leben zur Hölle machen können. Oder denken Sie an Vorgesetzte, die ein berufliches Abhängigkeitsverhältnis missbrauchen, um sexuelle Gefälligkeiten von (zumeist weiblichen) Mitarbeitern zu erzwingen.
Unter diese dritte Kategorie fallen auch Menschen, die ihre Attraktivität nutzen, um andere Menschen zu manipulieren. Aus dem Rotlichtmilieu stammt der Begriff des „Liebeskaspers“, der einen Freier bezeichnet, welcher sich in einer Prostituierte verliebt hat. Der Liebeskasper sieht in der Prostituierten ein Opfer und will sie aus ihrem Milieu „retten“, oft sogar heiraten. Meist wird er nur ausgenutzt, zum Beispiel da die Prostituierte einen Freund hat und/oder weder Motivation, noch Absicht hat, ihren Beruf aufzugeben.
Trifft ein Profi der Manipulation und Machtausübung auf ein unbedarftes und wehrloses Opfer, das sich dem Profi willenlos und wehrlos ausliefert, ist der Boden bereitet für menschliche Dramen, die in tiefe Enttäuschung, Liebeskummer, Depression, Hass oder sogar in Mord und Totschlag umschlagen können. Nichts provoziert stärkere emotionale Reaktionen, als das Gefühl, ausgenutzt, bloßgestellt, verhöhnt oder gedemütigt zu werden – vor allem, wenn dies durch einen Menschen erfolgt, den man begehrt, dem man vertraut und vor dem man sich „emotional nackt“ gemacht hat. Und Schmerz verändert Menschen: Er lässt sie weniger vertrauen, zu viel nachdenken und andere Menschen ausschließen. Im Extremfall zerstört er für den Rest des Lebens die Grundlagen für engere zwischenmenschliche Beziehungen.
Kinder mit Verhaltensstörungen sind häufig das Produkt emotionalen Missbrauchs durch Erziehungsberechtigte, die (nicht selten unbewusst) durch bedingte (im Sinne von „an Bedingungen geknüpfte“) Zuneigung und Liebe erheblichen emotionalen Schaden in der Psyche ihrer Schutzbefohlenen anrichten. Kinder brauchen das Gefühl bedingungsloser Liebe; wenn sie den Eindruck bekommen, nur dann geliebt zu werden, wenn sie gute Leistungen in der Schule bringen, ihr Zimmer aufräumen oder anderen Normen ihrer Eltern zu genügen, werden sie psychisch krank. Um ein Auto fahren zu dürfen, muss man in den meisten Staaten der Welt einen Führerschein machen, während jeder Kinder in die Welt setzen darf, ohne sich zuvor Gedanken über die Verantwortung zu machen, die er dadurch übernimmt.
Kann man sich gegen die Ausübung von zwischenmenschlicher Macht wehren? Als Kind, welches noch gar nicht begreift, was mit ihm passiert, leider nicht. Kinder sind ihren Erziehungsberechtigten in der Regel auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Wenn die Kinder Glück haben, greifen andere Erwachsene ein und befreien sie aus ihrer Zwangslage. Als Erwachsener kann man sich gegen zwischenmenschliche Machtausübung nur dann wehren, wenn man lernt, die Mechanismen der Machtausübung zu verstehen – inklusive des eigenen Beitrags, den man leistet, um die Machtausübung zu erleichtern oder zu befördern.
Projektionen und Erwartungen an Andere gehören zu diesen eigenen Beiträgen. Wer andere Menschen unkritische glorifiziert bzw. vergöttert und glaubt, positive Handlungen in Richtung dieser Menschen würden quasi automatisch zu positiven Gegenreaktionen führen, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit enttäuscht werden. Egoisten und Mitglieder vom „Stamme Nimm“ sind es gewohnt, zu nehmen, ohne zu geben. Daher gilt eher die Regel: Wer nichts erwartet, kann auch nicht enttäuscht werden. Und wer sich selbst genügt und mit sich selbst im Reinen ist, erwartet auch weniger von Anderen. Erwarten Sie nichts, wertschätzen Sie, was kommt, konzentrieren Sie sich auf das, was Sie beeinflussen können, akzeptieren Sie was Sie nicht beeinflussen können. Das ist grundlegende Regeln für ein glückliches und zufriedenes Leben.
Von dem indischen Philosophen Osho stammt folgendes Zitat:
„Die Fähigkeit, alleine zu sein entspricht der Fähigkeit, zu lieben.
Es mag paradox erscheinen, doch das ist es nicht. Es ist eine grundlegende Wahrheit. Nur jene, die alleine sein können, können Lieben, können Teilen, können zum tiefsten Kern einer Person durchdringen, ohne sie zu besitzen, ohne abhängig von ihr oder süchtig nach ihr zu werden.
Sie erlauben anderen die volle Freiheit, denn sie Wissen, wenn sie verlassen werden, sind sie genau so glücklich wie vorher. Ihre Freude kann nicht genommen werden, weil sie nicht von anderen stammt.“
In diesem Sinne ist es nützlich, sich auf sich selbst zu konzentrieren und an der eigenen Selbstzufriedenheit (im positiven Sinne) zu arbeiten. Unser eigenes Denken, Fühlen und Handeln ist ohnehin das Einzige, was wir beeinflussen können …