Heute Morgen tauchte in meinem Newsfeed ein Video auf, welches von Antonio Giugno (CEO und Gründer von Recruitd.com) Mitte Februar 2018 unter dem Titel „Would you accept the job after an interview like this?“ gepostet wurde (siehe: https://youtu.be/JXTxmtM_aPI) und ein paar gute Denkanstöße zu der Frage vermittelt, wie Bewerberinterviews geführt werden sollten.
Obwohl es ganz sicher nicht an guten Ratschlägen zu diesem Themenkomplex mangelt (Google wirft allein 21.300 deutschsprachige Suchergebnisse für den Begriff „Bewerberinterviews“ sowie 6,21 Millionen englischsprachige Suchergebnisse für den Begriff „Job Interviews“ aus) einschließlich einer Vielzahl professioneller Fachartikel in Business-Netzwerken, wie LinkedIn oder XING, oder Frameworks und Checklisten professioneller Beratungsunternehmen, habe ich das Video zum Anlass genommen, meine eigenen Erfahrungen mit Bewerberinterviews in diesem Blog zu dokumentieren.
Vorweg: Ich bin weder HR-Experte, noch Psychologe. Meine folgenden Hinweise und Tipps basieren auf meiner langjährigen Erfahrung als Vorgesetzter in Linien- und Projektfunktionen mit hunderten von Bewerberinterviews innerhalb der vergangenen mehr als 25 Jahre. Basierend auf dieser Erfahrung, angereichert durch Einsichten aus diversen Interviewtrainings und Beobachtung von professionellen Interviewern und Kollegen habe ich für meinen persönlichen Gebrauch eine Interviewmethode entwickelt, mit der es mir in der Regel gelingt, Kandidaten/-innen innerhalb des begrenzten Zeitrahmens eines Bewerberinterviews aus der Reserve zu locken und so gut wie möglich kennenzulernen.
Das Kennenlernen gelingt naturgemäß nur dann, wenn ein Bewerber die Möglichkeit hat, auf offene Fragen möglichst ausführlich zu antworten und wenn auf Seiten des Interviewers das Interesse an der Person des Bewerbers auch vorhanden ist und nicht nur vorgegeben wird. Ich stimme der Grundaussage des eingangs geposteten Videos absolut zu, dass Standardfragen, wie „Was sind Ihre wesentlichen Stärken/Schwächen?“, „Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben?“ oder „Können Sie mir den wesentlichen Grund nennen, warum ich gerade Sie für diesen Job einstellen sollte?“, die ein Bewerber mehr oder weniger kurz und auf Basis vorbereiteter Antwortkonserven beantworten kann, keine gute Grundlage für die Auswahl eines Bewerber sind.
Jedes Bewerberinterview stellt für den Bewerber eine stressige Ausnahmesituation dar. Deshalb versuche ich als Interviewer zunächst eine angenehme Gesprächsatmosphäre herzustellen, indem ich mich selbst vorstelle und etwas über mich erzähle, das zur Auflockerung dient und die formale Gesprächsatmosphäre entspannt, z. B. dass ich mich für Ahnenforschung interessiere, meine Ahnenreihe über 29 Generationen bis in das Jahr 1368 zurückverfolgen kann und dass eine meine Vorfahrinnen am 26. Oktober 1657 enthauptet und als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde.
Im nächsten Schritt bitte ich den Bewerber etwas über sich zu erzählen, was nicht im Lebenslauf steht, was er/sie jedoch für wichtig/erwähnenswert hält. Sehr viele Bewerber antworten auf diese Frage bemerkenswerterweise, indem sie ihren Werdegang erläutern (der im Lebenslauf steht) oder sie tun sich einfach schwer damit, sich selbst zu charakterisieren (was in einigen Fällen der Anfangsnervosität geschuldet sein mag).
Sollte der Bewerber diese Frage nicht zum Anlass nehmen, sich selbst mit seinen wesentlichen Eigenschaften, Stärken und Schwächen zu charakterisieren, frage ich in der Regel gezielt nach, um zu verstehen, wer der Mensch hinter dem Bewerber ist.
Vor allem (aber nicht ausschließlich) bei Bewerbern, die schon über nennenswerte Berufserfahrung verfügen, interessiert mich, welche wesentlichen Erfolge bzw. Errungenschaften sie in ihrer Karriere erzielt haben bzw. ob es hervorhebenswerte Leistungen gibt, auf sie ggf. sogar besonders stolz sind. Die Reaktion auf diese Frage einschließlich der Körpersprache des Bewerbers ist in der Regel sehr aufschlussreich.
In Abhängigkeit von der Antwort bitte ich den Bewerber zu erläutern, warum dieser Erfolg aus seiner/ihrer Sicht besonders wichtig ist, warum er/sie auf darauf besonders stolz ist, was die wesentlichen Erfolgskriterien waren, die den Erfolg ermöglicht haben, welche Widerstände es zu überwinden galt und welchen persönliche Beitrag der Bewerber zum Zustandekommen dieses Erfolgs geleistet hat. Hinweis: Es ist wichtig, genau diesen persönlichen Beitrag des Bewerbers herauszuarbeiten. Nicht jeder, der in einem erfolgreichen Projekt oder einer erfolgreichen Organisation gearbeitet hat, hat zum Erfolg des Projektes bzw. der Organisation beigetragen. Sollten die Antworten des Bewerbers nicht hinreichend konkret sein, frage ich in der Regel nach.
Die Frage in umgekehrter Richtung nach dem größten persönlichen Misserfolg bzw. der größten persönlichen Niederlage ist erfahrungsgemäß weniger zielführend, weil Bewerber in einem Bewerberinterview naturgemäß versuchen, sich in einem möglichst guten Licht darzustellen und es tunlichst vermeiden, ihre schmutzige Wäsche vor den Augen und Ohren des Interviewers auszubreiten. Bei Bewerbern, die allzu selbstbewusst auftreten, kann diese Frage jedoch durchaus nützlich sein.
Das „Eingestehen“ einer persönlichen Niederlage ist übrigens überhaupt kein Problem – im Gegenteil. Wir alle sind Menschen, das Leben ist kein Ponyhof und jeder von uns hat schon einmal persönliche Niederlagen erlebt. Viel wichtiger ist der Umgang mit der Situation und man merkt als erfahrener Interviewer schnell, ob der Bewerber eine Antwort ad hoc konstruiert oder ob seine/ihre Schilderung authentisch ist. Dies gilt auch für die Fragen in dem folgenden kurzen Einschub.
Am 09.08.2018 wurde im Business Insider ein sehr guter Artikel unter dem Titel „Der Recruiting-Chef der Allianz erklärt, bei welcher Frage die meisten Bewerber ins Straucheln kommen“ veröffentlicht, der weitere gute Fragen enthält und aus dem die folgenden Zitate entnommen sind.
- Wenn ihr etwa einer von über hunderttausend Bewerbern bei der Allianz seid, könnten euch im Vorstellungsgespräch folgende Fragen begegnen: „Welche Idee haben Sie umgesetzt, die grandios gescheitert ist?“ oder „Wie kommunizieren Sie eine Management-Entscheidung Ihrem Team, mit der sie nicht übereinstimmen?“
- Es gibt eine Frage, die der Recruiting-Chef der Allianz persönlich ziemlich oft stellt, weil sie viel über Bewerber preisgibt – und zwar die Frage nach Misserfolgen und was die Bewerber daraus gelernt haben. „Die Leute erwarten es nicht, weil man bei einem Vorstellungsgespräch immer darauf bedacht ist, sich gut darzustellen.“
- Ferner könnte es vorkommen, dass man euch als Bewerber bei der Allianz diese Frage stellt: „Haben Sie schon einmal die Regeln gebrochen, um ein Ziel zu erreichen?“ Oder euch auffordert, von einer Situation zu berichten, in der ihr ein Versprechen nicht halten konntet.
Nach diesem kurzen Einschub möchte ich mit meiner Interviewsystematik fortsetzen.
„Was begeistert Sie bzw. unter welchen Bedingungen arbeiten Sie gerne?“ bzw. die umgekehrte Frage „Was ödet Sie an bzw. demotiviert sie?“ sind weitere sinnvolle Fragen. Die Antworten auf diese Fragen sind insofern interessant, weil sie Rückschlüsse auf das Verhalten des Bewerbers im Team – als Teammitglied, Mitarbeiter oder Vorgesetzter – zulassen. Und spätestens in dieser Phase des Bewerberinterviews hat der Bewerber in der Regel seine Anfangsnervosität abgelegt und ist in der Lage unbefangen zu antworten.
Zur Abrundung macht es ggf. Sinn einige fachliche Fragen zu stellen, um abzuchecken, ob der Bewerber die im Lebenslauf skizzierte Qualifikation und Erfahrung auch tatsächlich vorhanden ist, z. B. „Was kennzeichnet aus Ihrer Sicht eine gute IT-Strategie?“.
Um einen Eindruck zu gewinnen, in welchem Umfang der Bewerber sich mit meinem Unternehmen auseinandergesetzt hat, können ergänzende Fragen, wie z. B. „Ist Ihnen bei der Vorbereitung unseres Interviews etwas aufgefallen, was wir als Unternehmen aus Ihrer Sicht besser machen könnten?“ – ganz im Sinne des berühmten Zitat von Steve Jobs „It doesn’t make sense to hire smart people and then tell them what to do; we hire smart people so they can tell us what to do.“.
Sollte der Bewerber nicht von sich aus danach fragen, gebe ich ihm/ihr am Ende des Bewerberinterviews mein offenes und ehrliches Feedback, was mir gut gefallen hat und was mir weniger gut gefallen hat und bitte den Bewerber, mir in umgekehrter Richtung ebenfalls Feedback zu geben. Das Interview endet mit der Vereinbarung der nächsten Schritte, die selbstverständlich von beiden Seiten (Referenzen, Zu-/Absage) einzuhalten sind.
Drei abschließende Hinweise, die mir wichtig sind:
- Der Erfahrungswert „A’s hire A’s and B’s hire C’s“ (siehe: http://www.hrdusa.com/As_hire_As.html) trifft leider (zu) häufig zu. Einen guten Vorgesetzten erkennt man unter anderem an seiner Fähigkeit ein so gutes Team zusammenzustellen, dass er sich selbst mittelfristig überflüssig macht, weil das Team in der Lage ist, Spitzenleistungen ohne nennenswerte Anleitung von oben zu erbringen. Aus diesem Grund sollten Bewerberinterviews immer von mehreren Personen (z. B. ein HR-Vertreter, ein Vorgesetzter, ein Kollege, ein Partner) geführt werden, die ihre Eindrücke dokumentieren und nach den Interviews abstimmen.
- Die Zusammenstellung eines Spitzenteams ist wie Haute Cuisine. Ein Spitzenkoch achtet bei der Auswahl seiner Zutaten zweifellos auf Spitzenqualität; das stimmige Geschmackserlebnis resultiert jedoch ganz entscheidend aus der Abstimmung und dem Zusammenspiel der Zutaten und der Fähigkeiten des Maître de Cuisine bei der Zubereitung. Wer nur mit Bohnen und Kartoffeln kocht, bekommt mit hoher Wahrscheinlichkeit bodenständigen Bohneneintopf, der zwar gut schmecken mag, mit dem man aber im internationalen Wettbewerb der Spitzenköche keinen Blumentopf gewinnen kann. Wer aber den Mut besitzt, auf Vielfalt (Neuhochdeutsch: „Diversity“) zu setzen, wird durch ein außergewöhnliches Geschmackserlebnis belohnt – wobei die „Vielfalt“ bei der Bewerberauswahl sich nicht nur auf Kriterien, wie Geschlecht, Nationalität oder Qualifikation beziehen sollte, sondern auch auf den Charakter der Teammitglieder (z. B. introvertiert vs. extrovertiert, emotional vs. rational, chaotisch vs. strukturiert, …). Und vergessen Sie nicht: Neue Besen kehren gut, aber die alten kennen die Ecken.
- Gute Vor- und Nachbereitung des Bewerberinterviews seitens des Interviewers sind unverzichtbar. Es gibt in einem Bewerberinterview nichts Peinlicheres, als Interviewer, die während des Interviews anfangen, den Lebenslauf zu lesen. Das Gleiche gilt für Vereinbarungen, die im Lauf des Interviews getroffen werden sowie für die Zu-/Absage innerhalb eines angemessenen Zeitrahmen. Wenn ein Interviewer Referenzen abfragt, dann sollte er sich verdammt noch mal auch die Mühe machen, Feedback von diesen Referenzen einzuholen bzw. dem Bewerber mitzuteilen, wenn die Entscheidung nicht zu seinen/ihren Gunsten gefallen ist. Ich halte dies für eine Frage des Respekts im Umgang mit dem Bewerber.
Sollte Ihnen dieser Blog gefallen haben, werfen Sie doch gelegentlich einen Blick auf meine drei folgenden Blogs: „Was CIOs wirklich von Account Managern erwarten …“ vom 27.04.2017 (siehe: https://kubraconsult.blog/2017/04/27/was-cios-wirklich-von-account-managern-erwarten/), „Persönlichkeitsentwicklung: Warum Sie schlechten Bedienungen gute Trinkgelder geben sollten …“ vom 21.07.2017 (siehe: https://kubraconsult.blog/2017/07/21/persoenlichkeitsentwicklung-warum-sie-schlechten-bedienungen-gute-trinkgelder-geben-sollten/) und „Das Geheimnis glücklicher Kinder“ vom 01.08.2017″ (siehe: https://kubraconsult.blog/2017/02/18/das-geheimnis-gluecklicher-kinder/ ).
P.S.: Rückmeldungen und Verbesserungsvorschläge zu diesem Blog nehme ich, wie immer, gerne entgegen.
2 Kommentare zu „Bewerberinterviews: Gute Fragen, schlechte Fragen“