Am 08.01.2020 habe ich auf LinkedIn einen Beitrag gepostet, in dem die Gefahr für die Demokratie durch radikale, ideologisierte, gewaltbereites Minderheiten thematisiert wird. Innerhalb von drei Tagen wurde dieser Beitrag von über 530 LinkedIn-Nutzern „geliked“ und hat mehr als 103 Kommentare erhalten, von denen ca. 80 Prozente vernünftig und sachlich waren – worüber ich mich freue.

Anknüpfend an diesen Beitrag möchte in diesem Blog zwei Aspekte logisch miteinander verknüpfen, die ich für außerordentlich wichtig halte:

  1. Wenn es eine Lehre aus der Nazi-Herrschaft in Deutschland zwischen 1933 und 1945 gibt, dann ist es diese: Durch ein gut organisiertes System von Überwachung, Verfolgung, Denunziation, Einschüchterung und Gewalt kann eine radikale, ideologisierte, gewaltbereite Minderheit einer gemäßigten, schweigenden, wehrlosen Mehrheit die Kontrolle über ein demokratisches System entziehen (siehe: https://t1p.de/j43v ).
  2. Je besser die Kenntnis von Stärken und Schwächen, Sozialverhalten und menschliche Beziehungen der Mehrheit, desto gezielter, effektiver und schneller kann die Minderheit die Kontrolle übernehmen. In der Ära der Digitalisierung werden Überwachung, Verfolgung, Denunziation, Einschüchterung und Gewalt nicht mehr unbedingt physisch ausgeübt, sondern mit Hilfe von Internet und Social Media-Plattformen, die soziale Verhaltenskontrolle betreiben und deren Daten laut dem Whistleblower Edward Snowden an die National Security Agency (NSA) übertragen werden (siehe: https://t1p.de/6dul ).

Ja, Digitalisierung hat zweifellos viele Vorteile – vor allem, wenn sie zur Optimierung von Wertschöpfungsketten, zur Automatisierung von Geschäftsprozessen oder zur Verbesserung von Produkt- und Servicequalität genutzt wird. Die Ausprägung der Digitalisierung, die Google und Facebook groß gemacht hat, indem sie Nutzer zu Objekten degradiert, deren Verhalten in Echtzeit kontrolliert und manipuliert und zur Profitmaximierung durch Werbung monetarisiert, birgt beträchtliche Risiken für demokratische Gesellschaften und kann ihnen erheblichen Schaden zufügen. Massenüberwachung, -kontrolle und -manipulation von Konsumenten und Bürgern sind Kennzeichen autoritärer bzw. autokratischer Regime und sollten es auch bleiben.

Der republikanische Ex-Gouverneur von Kalifornien, Arnold Schwarzenegger, hat am 10.01.2021 ein pathetisches und berührendes Video auf LinkedIn veröffentlicht, in dem er auf Basis seiner eigenen familiären Erfahrungen in Österreich kurz nach dem 2. Weltkrieg die Rolle von Donald Trump im Nachgang zur US-Präsidentschaftwahl am 03.11.2020 sowie bei den „Capitol Riots“ am 06.01.2021 kritisiert: https://t1p.de/swwf. In den Kommentaren unter dem Video finden sich viele unsachliche Beschimpfungen, die ein weiterer Beleg für die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft sind.

Man soll mit Nazi-Vergleichen vorsichtig umgehen; der von Arnold Schwarzenegger bezieht sich auf die Verführung der Massen und den Aufruf zum Bruch des staatlichen Gewaltmonopols durch lügende Staatsführer – und das halte ich vor dem folgenden Hintergrund für angemessen.

Im Jahr 2020 lebten in den USA ca. 331 Millionen Bürger, von denen ca. 72% erwachsen und damit wahlberechtigt waren. Die Wahlbeteiligung lag bei der US-Präsidentschaftswahl am 03.11.2020 bei 66,3 % – etwa 158,54 Millionen der 239,25 Millionen Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab. Im Vergleich zur Wahl 2016 stieg die Wahlbeteiligung von 59,2 % um 7,1 Prozentpunkte und erreichte den höchsten Prozentualwert seit der US-Präsidentschaftswahl 1900.

Donald Trump wurde am 03.11.2020 von über 74,2 Millionen US-Bürgern gewählt – das sind zwar „nur“ 31 % der 239,25 Millionen Wahlberechtigten, er hat – abgesehen von Joe Biden – damit jedoch mehr Wählerstimmen erhalten, als jeder andere Kandidat für das Amt des US-Präsidenten vor ihm:

Quelle der Grafik: https://t1p.de/pdn6

In den vergangenen Tagen habe ich eine Reihe von Kommentaren von Politikwissenschaftlern und Kennern der US-Politik gelesen, die glauben, dass die Capitol Riots erst der Anfang gewesen sind und dass den USA in den kommenden Jahren eine Welle von Gewalt, wenn nicht sogar bürgerkriegsähnliche Zustände drohen. Zwei Beispiele finden Sie hier und hier.

Aus den vorgenannten Gründen wäre wichtig, ein Verständnis zu entwickeln, wie viele der 74.222.959 US-Bürger, die am 03.11.2020 für Donald Trump gestimmt haben:
a) glauben, dass die US-Präsidentschaftswahlen „manipuliert“ wurden und Donald Trumps Sieg von den Demokraten „gestohlen“ wurde?
b) Verschwörungstheoretiker sind, die an QAnon und anderes wirres Zeug glauben?
c) Rassisten sind oder offene multikulturelle Gesellschaften ablehnen?
d) eine oder mehrere Schusswaffen besitzen?
e) praktische Kampferfahrung aus Afghanistan, Irak, Libyen oder Syrien haben bzw. für Polizei, Sicherheitsdienste oder andere Organisationen arbeiten, die ihre Mitglieder im Umgang mit Waffen trainieren?
f) für das FBI, die CIA, die NSA oder andere US-Geheimdienste arbeiten, die Zugang zu persönlichen Daten der US-Bürger (aber der persönlichen Daten von Bürgern aus anderen Staaten) haben?
g) zu allen 6 Kategorien a) bis f) gehören?

Je größer der Anteil der Trump-Wähler, die den ersten fünf Kategorien zuzurechnen sind, desto höher ist das Potenzial für effektive gewaltsame Aktionen, die sich gegen die Demokratie und gegen die Verfassung richten. Und Mitarbeiter von US-Geheimdiensten und US-Plattformunternehmen, allen voran Google und Facebook, verfügen über die notwendigen Daten, um Überwachung, Verfolgung, Denunziation, Einschüchterung und Gewalt mit Hilfe der Daten aus sozialer Verhaltenskontrolle auf digitalen Plattformen auszuüben.

Ein sehr problematischer Seiteneffekt der Tatsache, dass es in den USA keine Krankenversicherungspflicht gibt, ist, dass psychisch Kranke oder instabile Menschen mit Neigung zu Gewalt gegen sich und Andere vom Gesundheitssystem nicht rechtzeitig erkannt und behandelt werden. Das ist einer der wesentlichen Gründe, neben der hohen Waffenbesitzquote, warum in den USA jährlich im Quervergleich deutlich mehr Menschen durch Waffen sterben müssen, als in anderen Staaten einschließlich Deutschland, und warum es in den USA deutlich mehr bewaffnete Amokläufe gibt, als in anderen Staaten.

Quelle der Grafik: https://t1p.de/wstm

In ihrer Statistik aus dem Jahr 2018 verzeichneten die Centers for Disease Control and Prevention (CDC), eine Behörde des US-amerikanischen Gesundheitsministeriums, 39.740 Schusswaffentote in den USA, darunter mehr als 24.000 Selbsttötungen und fast 14.000 Morde. Hinzu kommt eine noch deutlich höhere Zahl an Verletzten, die bei ca. dem doppelten Wert der Mordopfer liegt. Verkehrsunfälle forderten in den USA im gleichen Zeitraum knapp 38.000 Menschenleben (Quelle: https://t1p.de/keqi).

Zum Vergleich: Im Jahr 2019 wurden 245 Personen in Deutschland Opfer eines Mordes. Dies ist der niedrigste Wert in den letzten 20 Jahren. Noch im Vorjahr 2018 lag die Zahl der Mordopfer in Deutschland bei 386. Die Größe der deutschen Bevölkerung liegt bei ca. einem Viertel der Bevölkerung der USA, ca. 83 Millionen Bürger vs. ca. 331 Millionen Bürger, d. h. relativ gesehen ist die Zahl der Ermordeten durch Schusswaffen in den USA neun bis zehn Mal so hoch, wie die Zahl sämtlicher Mordopfer in Deutschland. (Quelle: https://t1p.de/x2bs).

Die Frage ist, wie die Mehrheit in einer Demokratie mit radikalen, ideologisierten, gewaltbereiten Minderheit umgehen sollte. Kein Mensch wird ja als schlechter Mensch geboren. Aber durch frühkindliche Prägung, schlechte Erfahrungen und fehlendes Coaching entwickeln sich manche Menschen in eine falsche Richtung. Sie lügen, sie betrügen, sie hintergehen, sie intrigieren, sie interessieren sich nur für sich selbst und ihre eigenen Vorteile und sie nutzen andere Menschen eiskalt aus. Wenn es ganz schlecht läuft, üben sie sogar psychische oder physische Gewalt gegenüber anderen Menschen aus – selbst gegenüber denen, die sie lieben, die ihnen nahe stehen oder die ihnen wohl gesonnen sind.

Wie geht man also mit solchen Menschen um? An das Gute glauben? Immer wieder neue Chancen geben, in der Hoffnung, dass sich doch noch etwas ändert? Wie erkennt man, wann Hopfen und Malz verloren sind und dass es besser ist, die Feinde der Demokratie ohne Nachsicht durch rechtsstaatliche Maßnahmen zurückzudrängen und zu bekämpfen?

Ergänzende Lektüre:

▶︎ „Zensur durch Social Media-Plattformen – der richtige Weg?“ vom 10.01.2021: https://kubraconsult.blog/2021/01/10/zensur-durch-social-media-plattformen-der-richtige-weg/

▶︎ „Ihr digitaler Fußabdruck und Ihre Sicherheit im Internet“ vom 06.01.2021: https://kubraconsult.blog/2021/01/06/ihr-digitaler-fusabdruck-und-ihre-sicherheit-im-internet/

▶︎ „Why our laws can’t protect me from my digital stalker“ vom 09.01.2021: https://kubraconsult.blog/2021/01/09/why-our-laws-cant-protect-me-from-my-digital-stalker/

▶︎ „Zwölf Technologietrends für 2021“ vom 07.01.2021: https://kubraconsult.blog/2021/01/07/zwolf-technologie-trends-fur-2021/

▶︎ „Warum Werbung und soziale Medien uns unglücklich machen“ vom 06.01.2021: https://kubraconsult.blog/2021/01/06/warum-uns-werbung-und-soziale-medien-ungluecklich-machen/

▶︎ Auswahl von LinkedIn-Postings zum Thema Geschäftsmodelle Sozialer Medien und ihren Auswirkungen auf die Privatsphäre im 2. Halbjahr 2020 von mir veröffentlicht wurden: https://t1p.de/570u