Im Nachgang zu den sogenannten „Capitol Riots“ vom 06.01.2020 in Washington gab es einige Entwicklungen, deren Folgen für das eigene Geschäft man als Nutzer von Cloud Hosting Services, iOS/Android und Social Media-Plattformen genau durchdenken sollte:

  1. Twitter und Facebook gaben bekannt, dass sie den privaten Account von Donald Trump sperren würden – zunächst temporär und mittlerweile dauerhaft. Im November 2020 hatte Donald Trump 88 Millionen Follower auf Twitter (38 Millionen mehr als Papst Franziskus) und Twitter war für den abgewählten US-Präsidenten der wichtigste Kommunikationskanal.
  2. Amazon Web Services (AWS) gab bekannt, den Twitter-Konkurrenten „Parler“, welcher u. a. von Extremisten und Verschwörungstheoretikern genutzt wird, nicht mehr hosten zu wollen.
  3. Apple und Google haben die Parler App unter Berufung auf ihre Nutzungsbedingungen aus ihren App Stores für iOS und Android verbannt. Parler steht damit vor einer ungewissen Zukunft.

Ein n-tv-Artikel vom 10.01.2021 unter der Überschrift „Gewaltpläne von Trump-Anhängern: Amazon schaltet Parler offline“ bietet Hintergrundinformationen zu diesen Entwicklungen.

Im Folgenden wird der Begriff „Zensur“ entsprechend der Definition im Duden verwendet, die da lautet: „von zuständiger, besonders staatlicher Stelle vorgenommene Kontrolle, Überprüfung von Briefen, Druckwerken, Filmen o. Ä., besonders auf politische, gesetzliche, sittliche oder religiöse Konformität.“ Das Politiklexikon von Klaus Schubert und Martina Klein aus dem Jahr 2018 definiert Zensur sehr ähnlich: „Zensur bezeichnet die in modernen Demokratien strikt abgelehnte (politische) Kontrolle öffentlich geäußerter Meinungen (in Presse, Funk und Fernsehen, aber auch im Bereich der Literatur, Kunst etc.).“. 

Unabhängig davon, wie man zu Donald Trump und seinen kruden Einlassungen nach der US-Wahl vom 03.11.2020 steht, und unabhängig davon, dass Hassreden und Aufforderung zum Aufruhr keinen Platz in einer demokratischen Gesellschaft haben dürfen, muss man die Frage stellen, ob die AGB und Nutzungsbedingungen privater Unternehmen der richtige Weg sind, um diese Auswüchse einzubremsen? Denn die inhaltliche Abgrenzung zwischen berechtigter und unberechtigter Zensur ist aufgrund der Größe der Grauzone schwierig bis unmöglich.

Und wenn man Social Media-Plattformen das Recht gibt bzw. sie sogar in die Pflicht nimmt, Inhalte, Nutzer und Apps zu zensieren bzw. sogar zu blocken, wie verhindert man dann, dass sie dieses Privileg missbrauchen, um lästige Konkurrenten zu behindern oder auszuschalten? Die FANGMAN-Konzerne aus den USA, also Facebook, Amazon, Netflix, Google, Microsoft, Apple und Nvidia, sowie ihre chinesischen Konkurrenten WeChat, Alibaba, Baidu, Tencent und Tik Tok sind bislang nicht dadurch aufgefallen, dass sie ihre eigenen Interessen zur Profitmaximierung den Interessen von Gesellschaft und Demokratie unterordnen würden – eher im Gegenteil (Stichwort: Steuervermeidung).

In meinem Blog „Digitale Geschäftsmodelle und Plattformökonomie“ vom 06.09.2017 finden Sie dazu unter anderem folgende Überlegung: „Das folgende Beispiel soll verdeutlichen, welche erheblichen Auswirkungen der veränderte Marktzugang auf das Kräfteverhältnis zwischen Lieferanten, Plattformbetreibern und Kunden hat: Einer der Hauptgründe für den Erfolg von Amazon ist die Funktion als Vertriebsplattform für Dritthändler. Wer größere Mengen verkaufen will, kommt wegen der Marktmacht der Amerikaner kaum um eine Listung auf der Amazon-Plattform herum. Der Dritthändler kann dadurch deutlich mehr Umsatz erzielen, muss sich dafür Amazon aber auf Gedeih und Verderb ausliefern. Da Amazon nach der Listung alle relevanten Kundendaten unter seiner Kontrolle hat, kann es Dritthändler vorübergehend leicht unterbieten und deren Geschäft am Ende ganz übernehmen, wenn es in die Strategie von Amazon passt. Darüber hinaus gewinnt Amazon durch die Vielzahl von Transaktionen mit Dritthändlern eine große Datenmenge, die das Unternehmen als exzellenten Hebel zur Vorhersage, Steuerung oder gar Manipulation des Verhaltens von Kunden und Lieferanten in Amazons eigenem Interesse nutzen kann. Amazon wird als Plattformbetreiber zur Spinne im Netz.“

In einem Rechtsstaat gibt es klare Regeln und Prozesse, wie mit gesetzes- oder gar verfassungsfeindlichen Meinungsäußerungen oder Handlungen umzugehen ist. Social Media-Netzwerke stellen Polizei und Gerichte aufgrund der schieren Menge an Meinungsäußerungen zweifellos vor ein gewaltiges Kapazitätsproblem, welches dazu führt, dass nicht jede potenziell gesetzes- oder verfassungsfeindliche Meinungsäußerung verfolgt und sanktioniert werden kann.

Wenn die Strafverfolgungsbehörden erst einmal ihre Arbeit aufnehmen, dann sind sie durchaus wehrhaft, aber der Amtsschimmel trabt halt langsam und hat viel zu geringer Kapazitäten um die Kakophonie von Social Media-Postings in der notwendigen Geschwindigkeit und mit der notwendigen Flächendeckung zu analysieren. Bis alle Beweise gesichert, analysiert und dokumentiert sind und eine Klage eröffnet ist gehen Monate ins Land.

Die Schlussfolgerung darf meines Erachtens jedoch nicht sein, dass man die Verantwortung für die Verfolgung von gesetzes- und verfassungsfeindlichen Meinungsäußerungen an private Unternehmen entsorgt und diese unter Verweis auf 80-seitige, verschachtelte AGB und Nutzungsbedingungen Zensur betreiben können, dürfen oder sogar müssen.

Visualcapitalist.com hat am 18.04.2020 eine sehr interessante Grafik unter dem Titel „Visualizing the Length of the Fine Print, for 14 Popular Apps“ veröffentlich, deren Platzbedarf den Rahmen dieses Blog sprengen würde. Werfen Sie mal einen Blick darauf – es ist erschreckend: https://www.visualcapitalist.com/terms-of-service-visualizing-the-length-of-internet-agreements/.

Interessanterweise ist das Geschäftsmodell von Google, Facebook oder LinkedIn ja selbst hochgradig manipulativ, denn es besteht im Kern darin, mit Hilfe von Algorithmen das Verhalten der Nutzer ihrer Plattformen so zu manipulieren, dass diese möglichst viel Zeit dort verbringen und möglichst viele Interaktionen ausführen um möglichst viele personenbezogene Daten zu hinterlassen und um im Interesse der Profitmaximierung der Plattformen mit möglichst viel Werbung bespielt werden zu können – siehe folgende Grafik:

Das schnell wachsende Business-Netzwerk LinkedIn wurde im Juni 2016 für 26,2 Milliarden US-Dollar von Microsoft gekauft. LinkedIn hat mittlerweile mehr als 720 Millionen Nutzer und stößt damit in Dimensionen vor, die bislang dem Social Media-Branchenführer Facebook mit seinen 2,7 Milliarden Nutzern vorbehalten waren.

Laut dem „Digital 2020„-Report von We are Social und Hootsuite hatten Anfang 2020 von 7,75 Milliarden Erdenbürgern, von denen 55% in Städten lebten, 5,19 Milliarden ein Mobiltelefon (67%), 4,54 Milliarden nutzten das Internet (59%) und 3,8 Milliarden waren aktive Social Media-Nutzer (49%) mit Google und Facebook als Social Media-Plattformen mit der größten Reichweite und den höchsten Werbeeinnahmen.

Beim Business-Netzwerk LinkedIn ist Registrierung nur dann möglich, wenn man durch Klick auf ein Häkchen den folgenden Richtlinien zustimmt:
01. LD-Community-Richtlinie (8 Seiten): https://t1p.de/3mvq
02. LD-Nutzervereinbarung (14 Seiten): https://t1p.de/b46f
03. LD-Datenschutzrichtlinie (18 Seiten): https://t1p.de/v6u1
04. LD-Copyright-Richtlinie (3 Seiten): https://t1p.de/xcgi
05. LD-Cookie-Richtlinie (7 Seiten): https://t1p.de/ht05
06. LD-Werberichtlinien (7 Seiten): https://t1p.de/mkbg
07. LD-Richtlinie zur Verwendung der Publishing-Plattform (1 Seite mit 6 Hyperlinks): https://t1p.de/t8vh
08. LD-Einstellungen zur Anzeigenauswahl (2 Seiten, zugeklappt): https://t1p.de/xaip
09. LD-Bedingungen für gebührenpflichtige Dienste (1 Seite mit 11 Hyperlinks): https://t1p.de/pss1
10. LD-Markenrichtlinie (10 Seiten): https://t1p.de/ixtr

Dieser ineinander verschachtelte Wust von Richtlinien mit mehr als 70 Seiten bildet die vertragliche Grundlage für die gesamten Aktivitäten und Interaktionen der Nutzer auf LinkedIn einschließlich der nicht unwichtigen Frage, wie LinkedIn der Privatsphäre und den personenbezogenen Daten der Nutzer und dem von den Nutzern bereitgestellten Content umgehen darf.

Wie bereits erwähnt, müssen sich die Nutzer auch auf Social Media-Plattformen an die Gesetze halten und im Rahmen der Verfassung bewegen. Und wenn das jemand nicht tut, dann sollte er angezeigt und durch die zuständigen Behörden strafrechtlich verfolgt werden – und zwar so, dass es richtig weh tut.

Die Kernfrage ist meines Erachtens: Wer trägt Verantwortung für die Verbreitung illegaler Inhalte und wer kann dafür haftbar gemacht werden?

Bei Zeitungen sind grundsätzlich alle Personen mitverantwortlich für den Inhalt von Text-, Wort- und Bildbeiträgen, die an dessen Entstehung und Veröffentlichung mitgewirkt haben (siehe: https://t1p.de/xswv ). Hauptverantwortliche Personen können sein:

▶︎  der Autor, der den Beitrag geschrieben hat,

▶︎  der verantwortliche Redakteur, der den Beitrag abgenommen hat,

▶︎  der Chefredakteur, der Geschäftsführer und der Herausgeber des Medienunternehmens,

▶︎ der Verlag oder Sender, der den Beitrag publiziert hat.

Social Media-Plattformen ist es bislang gelungen, sich rechtlich als Plattform bzw. Verbreitungstechnik für Inhalte Dritter zu positionieren und sich so ihrer inhaltlichen Verantwortung zu entziehen.

Social Media-Plattformen machen grundsätzlich „nur“ das sichtbar, was sich sonst im Verborgenen abspielt. Natürlich vergrößern Social Media-Plattformen die Reichweite von gesetzes- oder verfassungswidrigen Äußerungen und bringen Wirrköpfe und Filterblasen und Echokammern zusammen, die sich ansonsten vielleicht nicht gefunden hätten. Aber derjenige, der auf Twitter gegen die Demokratie ledert, tut das auch am Stammtisch oder im Freundes- und Kollegenkreis.

Die Frage ist: Tun wir der Demokratie einen Gefallen, wenn wir diese Umtriebe durch Zensur unsichtbar machen und in die Anonymität, z. B. ins Darknet, verbannen, wo sie kein normaler Nutzer mehr sieht und deshalb auch nicht mehr dagegen halten kann? Auf Social Media-Plattformen bekommen Wirrköpfe zumindest Gegenwind und sehen dadurch, dass ihre Meinung nicht die der Mehrheit repräsentiert.

In Deutschland lautet der Grundgesetz Artikel 5:

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. EINE ZENSUR FINDET NICHT STATT.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Quelle: https://t1p.de/zan8

Wenn man einmal anfängt, Zensur zu betreiben, dann muss man festlegen, nach welchen Maßstäben dies geschehen soll. In Deutschland hat man versucht, das über das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) zu definieren: https://t1p.de/7lx0 . Wer Zensur betreibt wird jedoch unweigerlich Seiteneffekte hervorrufen, bei denen legaler Content irrtümlich zensiert wird. Solche Fälle sehen wir auf Facebook, LinkedIn und anderen Social Media-Plattformen täglich. Und dann gerät man sehr schnell in Konflikt mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit.

Wie ist Ihr Meinung zu diesem Thema? Sollten Social Media-Plattformen auf Basis ihrer eigenen AGB und Nutzungsbedingungen Zensur ausüben und Postings löschen oder marken bzw. Nutzer und Apps sperren? Haben Sie selbst schon Erfahrungen mit Zensur auf Social Media-Plattformen gemacht?

Ergänzende Blogs:

▶︎ „Why our laws can’t protect me from my digital stalker“ vom 09.01.2020: https://kubraconsult.blog/2021/01/09/why-our-laws-cant-protect-me-from-my-digital-stalker/

▶︎ „Zwölf Technologietrends für 2021“ vom 07.01.2021: https://kubraconsult.blog/2021/01/07/zwolf-technologie-trends-fur-2021/

▶︎ „Ihr digitaler Fußabdruck und Ihre Sicherheit im Internet“ vom 06.01.2021: https://kubraconsult.blog/2021/01/06/ihr-digitaler-fusabdruck-und-ihre-sicherheit-im-internet/

▶︎ „Warum Werbung und soziale Medien uns unglücklich machen“ vom 06.01.2021: https://kubraconsult.blog/2021/01/06/warum-uns-werbung-und-soziale-medien-ungluecklich-machen/

▶︎ „Warum Tesla nicht ‚exponentiell‘ wächst“ vom 04.01.2021: https://kubraconsult.blog/2021/01/04/warum-tesla-nicht-exponentiell-wachst/

▶︎ „Mobilitätstipp für echte Profis“ vom 03.01.2021: https://kubraconsult.blog/2021/01/03/mobilitaetstipp-fuer-echte-profis/

▶︎ „Bitcoin, Tesla und die Bubble Economy“ vom 02.01.2021: https://kubraconsult.blog/2021/01/02/bitcoin-tesla-und-die-bubble-economy/

▶︎ Auswahl von LinkedIn-Postings zum Thema Geschäftsmodelle Sozialer Medien und ihren Auswirkungen auf die Privatsphäre im 2. Halbjahr 2020 von mir veröffentlicht wurden: https://t1p.de/570u

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